Informationen zum Thema Sucht und Suchtprävention

Mit dem umgangssprachlichen Begriff „Sucht“ werden in der Regel viele unterschiedliche Probleme und Verhaltensweisen verbunden. Nachfolgend wird der Begriff Sucht genau definiert. Dies ist für die Präventionsarbeit besonders wichtig, denn nur wenn deutlich ist, worauf die Präventionsarbeit abzielen soll, können die Maßnahmen genau geplant werden.

Definition von Sucht

„Sucht“ wird meist mit Alkohol oder psychoaktiven Substanzen wie Cannabis, Crystal Meth, Amphetaminen usw. verbunden. Zunehmend werden aber weitere Suchtformen öffentlich wahrgenommen und diskutiert, z.B. Glücksspielsucht, Computerspiel- und Internetsucht.

Papilio zielt langfristig besonders auf Probleme im Umgang mit Alkohol und Drogen, also psychoaktiven Substanzen ab. Die nachfolgende Beschreibung und Definition von Sucht bezieht sich daher auf Schwierigkeiten im Umgang mit diesen Substanzen.

Es gibt viele Versuche, Sucht zu definieren, und viele Definitionen werden aufgrund der Definitionsbreite (z.B. Schwierigkeit der Abgrenzung von Suchtmitteln zu Genussmitteln wie Kaffee) kritisiert. Die Schwierigkeit, Sucht exakt zu erklären, begründet sich u.a. darin, dass es viele verschiedene Substanzen (z.B. Alkohol, Cannabis, Klebstoffe) gibt, die zu Abhängigkeit führen können. Ferner kann der gelegentliche Konsum bestimmter Substanzen unproblematisch sein (z.B. Alkohol), während er bei anderen Substanzen (z.B. Ecstasy) aufgrund der möglichen negativen Folgen schon als problematisch bezeichnet werden muss.

Es ist daher nicht immer einfach, zu entscheiden, welches Verhalten als Substanzmissbrauch oder in stärkerer Form als Substanzabhängigkeit („Sucht“) zu bezeichnen ist und welches als gelegentlicher, kontrollierter Konsum. Zudem muss die Beurteilung, ob der Konsum bestimmter Substanzen problematisch ist oder nicht, immer das Alter berücksichtigen. So ist gelegentlicher Alkoholkonsum bei einem 14-Jährigen anders zu bewerten als bei einem 18-Jährigen.

Sucht ist ein psychisches Problem, das in der Regel mit sekundär auftretenden körperlichen und sozialen Folgen einhergeht. Sucht ist gekennzeichnet durch einen eigengesetzlichen Ablauf und durch den fortschreitenden Verlust freier Handlungsfähigkeit und Kontrolle über das eigene Verhalten.

Wanke & Täschner schreiben 1985: „Sucht liegt dann vor, wenn eine prozesshafte Abfolge in sich gebundener Handlungen kritisch geprüfte, sorgfältige und folgerichtig gesteuerte Handlungsabläufe ersetzt.”

Sucht zeigt sich als latente Suchthaltung, also als eine Haltung, die sich der Einschätzung durch die betroffene Person entzieht oder von dieser nicht vorgesehen war, und als süchtiges Verhalten. Ein Suchtverhalten liegt vor, wenn es zu einem eigendynamischen, zwanghaften Verhalten wird. Suchthaltungen als Folgen beispielsweise von mangelndem Selbstvertrauen und Minderwertigkeitsgefühlen oder von Ängsten werden meist bereits in der Kindheit und im Jugendalter erworben.

Papilio greift zur Definition des Suchtbegriffs bzw. bei der Beschreibung von Substanzgebrauchsstörungen auf die Ausführungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurück. Diese unterscheidet in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) bei den Psychischen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen verschiedene relevante Störungen, von denen im Folgenden nur einige ausgewählte dargestellt werden.

Die ICD-10 unterschiedet zunächst substanzspezifische Störungssubtypen, z.B. Störungen durch Opiate, Cannabinoide, Tabak usw. Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen lassen sich in zwei Gruppen aufteilen:

Substanzinduzierte Störungen

Substanzinduzierte Störungen umfassen u.a.

  • Akute Intoxikationen: Vorübergehender Zustand nach Aufnahme von Alkohol oder anderen psychotropen Substanzen, einhergehend mit Störungen des Bewusstseins, kognitiver Funktionen, der Wahrnehmung, des Affekts, des Verhaltens usw.
  • Entzugssyndrom: Als Reaktion auf Beendigung oder Reduktion eines schweren Substanzkonsums fehlangepasste Verhaltensweisen mit physiologischen und kognitiven Begleiterscheinungen.
  • Psychotische Störungen: z. B. Halluzinationen oder Wahnideen infolge einer Vergiftung mit psychotropen Substanzen.

Störungen durch Substanzkonsum

Bei den Störungen durch Substanzkonsum wird unterschieden zwischen

  • schädlichem Gebrauch und
  • Abhängigkeitssyndrom.

Ein schädlicher Gebrauch von Substanzen liegt vor, wenn ein laut WHO „Konsum psychotroper Substanzen … zu Gesundheitsschädigung führt. Diese kann als körperliche Störung auftreten … oder als psychische Störung …“.

Ein Konsum wird als schädlich angesehen, wenn er zu gesundheitlichen Problemen führt. Dazu gehören körperliche oder psychische Probleme, die zudem häufig zu Kritik von Personen aus dem sozialen Umfeld des Betroffenen führen. Von „schädlichem Gebrauch“ wird nur gesprochen, wenn dieser längere Zeit besteht. Als Zeitrahmen wird ein wiederholter schädlicher Konsum über einen Monat angegeben.

Das Abhängigkeitssyndrom (Substanzabhängigkeit) ist charakterisiert durch ein Muster körperlicher, verhaltensbezogener und kognitiver Symptome:

  • Starkes Verlangen oder Zwang, die Substanz zu konsumieren
  • Verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch
  • Körperliche Entzugssymptome, wenn weniger oder gar nichts von der Substanz konsumiert wurde
  • Toleranzentwicklung gegenüber den Effekten der Substanz
  • Aufgabe oder Vernachlässigung wichtiger Interessen
  • Anhaltender Substanzkonsum trotz eindeutig schädlicher Folgen

Liegen von diesen Symptomen innerhalb von zwölf Monaten drei vor, kann von einem Abhängigkeitssyndrom ausgegangen werden.

Diese Definitionen der WHO machen deutlich, dass in der Regel nicht aufgrund eines einmaligen Konsums von Substanzen beurteilt werden kann, ob eine Person Substanzgebrauchsstörungen bzw. Probleme im Umgang mit Substanzen hat – unabhängig von der Gefährlichkeit des einmaligen Konsums bestimmter Substanzen. Wichtig ist, ob eine Person aufgrund des Substanzkonsums eine körperliche, psychische oder psychosoziale Schädigung erfährt.

Auftretenshäufigkeit von Suchtproblemen

Betrachtet man die Häufigkeit des Konsums verschiedener Substanzen in der Allgemeinbevölkerung, wird das Ausmaß des Problems deutlich. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) stellt regelmäßig auf ihrer Internetseite (www.dhs.de/suechte) aktuelle Befunde aud Deutschland zusammen:

  • Nach Schätzungen aus dem Jahr 2018 zeigen 1,4 Mio. Menschen zwischen 18 und 64 Jahren einen Alkoholmissbrauch und ca. 1,6 Mio. sind alkoholabhängig.
  • Vom Tabak sind 4,4 Mio. der 18- bis 64-Jährigen abhängig.
  • Ca. 1,5–1,9 Mio. Menschen sind medikamentenabhängig. Insgesamt erhöht sich der Missbrauch und die Abhängigkeit von Medikamenten, v.a. die missbräuchlich häufige und unnötig hoch dosierte Anwendung, teilweise auch die Gewöhnung an nicht-opioidhaltige Schmerzmittel. Dies trifft auf hochgerechnet 1,6 bis 3,9 Mio. der 18- bis 64-Jährigen zu.
  • Etwa 15,2 Mio. Erwachsene von 18–64 Jahren und etwa 477.000 Jugendliche von 12–17 haben mindestens einmal in ihrem Leben eine illegale Droge konsumiert. Nach Hochrechnungen (Epidemiologisches Suchtsurvey 2018) sind 309.000 Menchen abhängig von Cannabis, 41.000 von Kokain und 103.000 von Amphetamin.
    Missbräuchlicher Konsum oder Abhängigkeit von Cannabis besteht bei 0,5 % der Erwachsenen. Abhängig von Cannabis, Kokain oder Amphetamin sind ca. 319.000.
  • Eine gesundheitsökonomische Schätzung im Jahr 2020 ergab, dass sich die durch den Alkoholkonsum verursachten direkten und indirekten Kosten auf 57,04 Mrd. € belaufen (2007: 26,7 Mrd. Euro). Davon sind 16,59 Mrd. € direkte Kosten im Gesundheitssystem (z.B. Behandlung beim Arzt, Krankenhausaufenthalte und Medikamente) und 40,44 Mrd. € indirekte Kosten (z.B. Produktionsausfall durch Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, Frühverrentung und vorzeitigen Tod).

Der Konsum von Alkohol ist bereits im Jugendalter weit verbreitet. Neben den Jugendlichen, die einen angemessenen Umgang mit Alkohol erlernen, gibt es auch Jugendliche, die dies nicht schaffen: Sie trinken zu häufig und/oder zu viel (z.B. sog. binge drinking), so dass sie Schwierigkeiten mit der Gesundheit, der Bewältigung von Alltagsanforderungen, ihren Bezugspersonen oder sogar mit dem Gesetz bekommen. Ein Maß zur Beurteilung des Ausmaßes betroffener Jugendlicher sind Prävalenzraten, die im Rahmen von epidemiologischen Studien ermittelt werden. Sie geben an, wie viel Prozent bestimmter Bevölkerungsgruppen zu einem bestimmten Zeitpunkt von Krankheiten oder Störungen, z.B. Substanzmissbrauch und -abhängigkeit, betroffen sind. Laut der Drogenaffinitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung haben 68 % der 12- bis 17-Jährigen schon einmal Alkohol getrunken. 6 % der 12- bis 15-Jährigen und 31 % der 16- bis 17-Jährigen sind regelmäßige Konsumenten, d.h. sie trinken mindestens einmal in der Woche Alkohol, und 6 % bzw. 34 % berichten über binge drinking während des letzten Monats. Darüber hinaus geben 12 % der 12- bis 15-Jährigen und 49 % der 16- bis 17-Jährigen an, in regelmäßigen Abständen zu rauchen. Etwa 15 % der 14- bis 17-Jährigen konsumieren Cannabis. 12 % der 18- bis 20-Jährigen erfüllen die DSM-IV-Kriterien der Diagnose einer Alkoholstörung, 8 % die Kriterien einer Nikotinabhängigkeit und 3 % die der Cannabisstörungen.

Die Häufigkeit und das Ausmaß des Alkoholkonsums steigen im Jugendalter besonders stark an, erreichen im frühen Erwachsenenalter ihren Höhepunkt und nehmen dann wieder ab.

Es gibt verschiedene entwicklungsbedingte Gründe für den Anstieg des Alkoholkonsums (und des Konsums anderer Substanzen) im Jugendalter, die den Bedarf an frühzeitiger Intervention und Prävention des Alkoholkonsums Jugendlicher verdeutlichen. Ein Grund ist u.a. in der besonderen gesellschaftlichen Funktion von Alkohol zu sehen. So wird beispielsweise zu bestimmten Feierlichkeiten oder zu besonderen Anlässen regelmäßig Alkohol konsumiert, um die Bedeutung eines Ereignisses zu unterstreichen. Die meisten Jugendlichen probieren Alkohol erstmals im Kreis der Familie, während Erfahrungen mit illegalen Drogen in der Regel im Kontext der Peergruppe gesammelt werden. Besonders bemerkenswert ist, dass das Einstiegsalter beispielsweise beim Rauchen bereits mit 11 Jahren beginnt, im selben Alter sammeln Jugendliche auch erstmalig Erfahrungen mit Alkohol. Zudem werden Jugendliche zunehmend als Konsumenten von der Industrie „entdeckt“ und spezielle Produkte entwickelt (z. B. Modedrinks wie die sog. Alkopops), die von Jugendlichen bevorzugt konsumiert werden.

Der gemeinschaftliche Alkoholkonsum – aber auch der Konsum anderer Substanzen – eröffnet zudem für einige Jugendliche den Zugang zu gemeinschaftlichen Erlebnissen in der für sie wichtigen Gleichaltrigengruppe. Letztlich besteht auch die Möglichkeit, dass Jugendliche Alkohol und andere Substanzen konsumieren, um sich von Erwachsenen abzugrenzen, d.h., dass der gemeinschaftliche Konsum von Alkohol oder anderen Substanzen

  • den Jugendlichen ein gemeinschaftliches Gefühl gibt,
  • ihnen den Zugang zur Gleichaltrigengruppe und zu jugendlichen Subkulturen sowie
  • die Abgrenzung von Erwachsenen erleichtert.

Dies bedeutet, dass Jugendliche in unserem Kulturkreis einen angemessenen Umgang mit Alkohol und anderen Substanzen erlernen müssen. Dieser Lernprozess findet in der Regel im Jugendalter statt. Wichtige Grundlagen, die einen solchen Lernprozess begünstigen, werden allerdings bereits im (frühen) Kindesalter erworben, z.B. sozial-emotionale Kompetenzen.

Quelle für diese Informationen:

Mayer H., Heim P., Peter, C., Scheithauer H. (2016). Papilio. Ein Programm für Kindertagesstätten zur Prävention von Verhaltensproblemen und zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenz. Ein Beitrag zur Sucht- und Gewaltprävention. Theorie und Grundlagen. 4. überarb. u. erg. Aufl. Augsburg: Papilio Verlag. S. 70 ff.

 

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