Soziale und emotionale Kompetenzen:
Theoretische Grundlagen

Emotionale und soziale Kompetenzen sind eng miteinander verknüpft und beeinflussen die Qualität unserer sozialen Beziehungen wesentlich. Sie bestimmen, wie gut wir zum Beispiel mit eigenen Emotionen und den Emotionen und Wünschen anderer umgehen und soziale Konflikte bewältigen können. Der Erwerb emotionaler und sozialer Kompetenzen ist eine wichtige Entwicklungsaufgabe der Vorschulzeit und die Basis für psychosoziale Gesundheit.

Förderung emotionaler Kompetenzen am Beispiel des Programms "Papilio-3bis6"

Artikel in der Zeitschrift report psychologie 44 (6), S. 10-12

Frühe Prävention wirkt nachhaltig: Sozial-emotionale Kompetenzen schützen vor Sucht- und Gewaltentwicklung"

Fachartikel zu Papilio-3bis6 in Kita-Handbuch (online)

 

Die nachfolgenden theoretischen Hintergründe sind (gekürzt) dem Buch "Papilio: Theorie und Grundlagen" entnommen.

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Vergleich sozial kompetent und Mangel an sozialer Kompetenz

Die Bedeutung sozialer Kompetenzen wird besonders deutlich, wenn man sieht, wie sich sozial kompetente Kinder von Kindern mit einem Mangel an sozialen Kompetenzen unterscheiden:

Kinder mit sozialen Kompetenzen Kinder mit mangelnden sozialen Kompetenzen

Erfolgreiche Anpassung an das soziale Umfeld

Verhaltensprobleme, z.B. Aggression im Vorschulalter

Positive Peer-Beziehungen

Wenige Peerbeziehungen

Positive Beziehung zu Erzieher*innen/Lehrer*innen

ADHS

Prosoziales Verhalten (z.B. Teilen, Kooperieren, soziale Interaktionen)

Wenig prosoziales Verhalten

 

Extreme Formen von Schüchternheit


Soziale und emotionale Kompetenzen sind von großer Bedeutung

Das Fehlen dieser Kompetenzen wird als Ursache für viele Probleme angenommen. Daher werden Maßnahmen zur Förderung der sozialen und emotionalen Kompetenz in der Therapie und der Prävention von verschiedenen psychischen Problemen bei Kindern angewendet. Studien zur Wirksamkeit dieser Maßnahmen bestätigen eine Verbesserung emotionaler und sozialer Fähigkeiten und Fertigkeiten und reduzieren Verhaltensprobleme.

Ein kleiner Junge leht an seiner Erzieherin, beide lachen.

Fähigkeiten und Fertigkeiten

Fähigkeiten (abilities) beziehen sich auf grundlegende Potenziale (z.B. bezogen auf Kommunikation, Bewegung, Denken), die es ermöglichen, unsere Umwelt zu beherrschen und kompetent zu handeln. Sie werden als Voraussetzung für die Realisierung einer Fertigkeit betrachtet.

Fertigkeiten (skills) erweisen sich als spezifischer als Fähigkeiten, stellen sozusagen einen erlernten oder erworbenen Anteil des Verhaltens dar und werden durch Übung stärker.

Nachfolgend klicken Sie bitte auf die gelben Pfeilchen rechts für die weiteren Inhalte: 

  • Grundlegende Konzepte zu den Konstrukten „emotionale“ und „soziale Kompetenz“ und ihre Beziehung zu positiven und negativen Entwicklungsverläufen von Kindern
  • Beziehung zwischen emotionaler und sozialer Kompetenz
  • Einflussfaktoren auf die Entwicklung der sozialen und emotionalen Kompetenzen von Kindern
Emotionale Kompetenz

Emotionen werden als kurzlebige, vorübergehende Gefühlszustände und als Reaktion auf äußere Ereignisse verstanden. Sie gehen mit bestimmten physiologischen (Körper-)Reaktionen einher und haben Einfluss darauf, was und wie schnell wir etwas wahrnehmen, wie wir auf diese Sinneseindrücke reagieren und was wir dabei denken. Emotionen beeinflussen unser Handeln, prägen unser tägliches Leben und formen entscheidend die Qualität sozialer Interaktionen und sozialer Beziehungen zu anderen Menschen. Allgemein dienen Emotionen der Anpassung an die Umwelt. Ein umfassendes Wissen über Emotionen und die Fähigkeit, mit eigenen Emotionen umzugehen, sind daher entscheidend für das Erleben positiver sozialer Interaktionen und den Aufbau stabiler Beziehungen zu anderen Menschen.

Entwicklungsaufgabe emotionale Kompetenz

Kinder müssen den Umgang mit eigenen und fremden Emotionen erst lernen. Aufgrund der herausragenden Bedeutung von Emotionen für die soziale Interaktion gilt der Erwerb emotionaler Kompetenz als eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben im Kleinkind- und Vorschulalter. Sie ist eine Grundlage für andere Entwicklungsbereiche und fördert diese.

Definition emotionale Kompetenz

Allgemein kann unter emotionaler Kompetenz die Fähigkeit verstanden werden, mit eigenen Emotionen und mit Emotionen anderer angemessen umzugehen. Die Entwicklungspsychologie definiert noch präziser, da emotionale Kompetenz eine Reihe von Fertigkeiten voraussetzt:

  • Eigener mimischer Emotionsausdruck
  • Erkennen des mimischen Emotionsausdrucks anderer Personen
  • Sprachlicher Emotionsausdruck
  • Emotionswissen und -verständnis
  • Emotionsregulation

Eigener mimischer Emotionsausdruck

Kinder müssen lernen, Emotionen durch Mimik und Gestik angemessen auszudrücken, damit andere Personen in der Lage sind, den emotionalen Zustand zu erkennen.

Im weiteren Entwicklungsverlauf sollten sie lernen, ihr subjektives Empfinden nach Bedarf vom Emotionsausdruck zu trennen. Dies trifft z.B. auf Situationen zu, in denen aufgrund gesellschaftlicher Konventionen oder auch zur Wahrung eigener Interessen die tatsächlichen Emotionen nicht gezeigt werden sollten. Die Unterscheidung zwischen Emotionserleben und Emotionsausdruck lernen Kinder ungefähr ab dem 3. Lebensjahr. Zu diesem Zeitpunkt beginnen sie außerdem ihren Emotionsausdruck an Situationen anzupassen und strategisch einzusetzen.

Erkennen des mimischen Emotionsausdrucks anderer Personen

Das Erkennen von Emotionen bei anderen Personen ist wichtig für eine erfolgreiche Interaktion mit ihnen. Können Kinder abschätzen, wie sich ihr Gegenüber gerade fühlt, hilft ihnen dies, ihr eigenes Handeln darauf abzustimmen. Kinder, die die Emotionen anderer gut erkennen, sind bei anderen Kindern beliebter.

Sprachlicher Emotionsausdruck, Emotionswissen und -verständnis

Der sprachliche Emotionsausdruck umfasst die Fähigkeit, eigene Emotionen zu beschreiben und damit auch mitteilen zu können. Voraussetzung dafür ist ein umfangreicheres Emotionswissen und -verständnis.

Kinder mit einem umfangreichen Emotionswissen können leichter ihre eigenen Emotionen beschreiben und so ihre Bedürfnisse mitteilen. Kinder mit geringem Emotionsverständnis haben Schwierigkeiten, ihre Gefühle und damit zusammenhängende Bedürfnisse auszudrücken. Ist ein Kind mit geringen Fertigkeiten im sprachlichen Emotionsausdruck wütend, neigt es wahrscheinlich eher zu sozial unangemessenem Verhalten (z.B. Spielzeug wegnehmen oder Schlagen) als Kinder, die die Möglichkeit haben, durch sprachliche Mitteilungen einen Konflikt zu lösen.

Darüber hinaus bilden Verständnis für und Wissen über Emotionen die Basis für die Entwicklung von Empathie und prosozialem Verhalten.

Im Alter von zwei bis fünf Jahren werden besonders viele Verknüpfungen zwischen Emotionen und Kognitionen geschaffen. Das Kindergartenalter ist hier also eine sensible Phase, in der die Emotions-Kognitions-Verbindungen gefördert werden müssen. Diese Fähigkeiten bilden die Grundlage für das Erlernen von Emotionsregulation.

Emotionsregulation

Die Emotionsregulation bezieht sich auf alle Strategien eines Kindes, mit den eigenen Emotionen umzugehen. Dies schließt folgende Fertigkeiten ein:

  • Herstellen und Aufrechterhalten von Emotionen
  • Kontrolle und Modulation der Intensität und Dauer von Emotionen
  • Möglichkeit zur Beeinflussung der begleitenden physiologischen Prozesse (Körperreaktionen) und Verhaltensweisen

Die Emotions(dys)regulation hängt mit einem häufigen Verhalten im Kleinkindalter zusammen, das in einem bestimmten Maß zur Entwicklung von Kindern dazugehört: den intensiven Wutanfällen (engl. Fachbegriff temper tantrums).

An Wutausbrüchen oder Wutanfällen lassen sich besonders gut entwicklungsbedingte Veränderungen in der Emotionsregulation erkennen. Wutanfälle treten besonders häufig im Alter von zwei Jahren auf und werden im Laufe der Entwicklung seltener. Das Charakteristischste an Wutanfällen ist die enorme Intensität, mit der die Kinder ihren Ärger ausdrücken. Die Kinder erleben ihre Emotionen so stark, dass sie häufig für einlenkende Worte nicht zugänglich sind.

Treten Wutanfälle bei einem älteren Kind noch häufig auf, liegt eine mangelnde Kontrolle und Modulation der Intensität und Dauer der Emotionen vor. Das Denken und Verhalten der Kinder ist in solch einer Situation stark eingeschränkt. Bei zwischenmenschlichen Problemen sind die Kinder weniger in der Lage, sich Lösungen für die Probleme auszudenken und diese auch umzusetzen. Kinder mit mangelnder Emotionsregulation zeigen weniger prosoziales Verhalten, sind aggressiver und werden von Gleichaltrigen häufiger abgelehnt.

Soziale Kompetenz

Das theoretische Konstrukt „soziale Kompetenz“ hat wie die "emotionale Kompetenz" verschiedene Aspekte.

Definitionen soziale Kompetenz

Auf einer sehr allgemeinen Ebene kann soziale Kompetenz als Effektivität in sozialen Interaktionen definiert werden. Die Effektivität bezieht sich auf das Erreichen persönlicher Ziele in sozialen Situationen, wobei allgemeingültige soziale Regeln und Normen eingehalten werden.

Etwas umfassender definiert ist soziale Kompetenz als die Fähigkeit einer Person, persönliche Ziele in sozialen Interaktionen zu erreichen, während positive Beziehungen zu anderen über die Zeit und über verschiedene Situationen aufrechterhalten werden. Diese Definition betont die Fähigkeit zur Erhaltung von positiven sozialen Beziehungen.

Soziale Kompetenz wird auch als generelle, übergreifende Kompetenz dargestellt, weil sie die Fähigkeit bezeichnet, positive soziale Beziehungen aufrechtzuerhalten.

Soziale Kompetenz umfasst somit eine Vielzahl von sozialen Fertigkeiten, Verhaltensweisen und Kompetenzen, die sich auf Aufgaben im sozialen Umfeld beziehen, die eine Person erfolgreich umsetzt.

Voraussetzung: Sich selbst von anderen unterscheiden können

Alle Definitionen setzen für sozial kompetentes Handeln grundlegend die kognitive Fähigkeit voraus, sich selbst von anderen unterscheiden zu können. Das zeigt eine enge Verbindung zwischen sozialer und kognitiver Entwicklung in den ersten Lebensjahren, denn diese Unterscheidungsfähigkeit entwickelt das Kind im zweiten Lebensjahr.

Das Kindergartenalter ist daher die entscheidende Lebensphase, in der wichtige soziale Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickelt und weiter differenziert werden.

Kognitive Perspektivenübernahme und Empathie

Erst die Fähigkeit, sich selbst von anderen zu unterscheiden, ermöglicht Selbstaufmerksamkeit und die Fähigkeit zur Rollen- und kognitiven Perspektivenübernahme. Beides ist wiederum Voraussetzung für Empathie, die sich in prosozialen Handlungen (z.B. helfen oder trösten) ausdrücken kann.

Empathie bezeichnet emotionale Reaktionen, die durch den affektiven Zustand oder die Situation anderer Personen hervorgerufen werden und das Nachempfinden beschreiben. Grundsätzlich lassen sich bei Empathie zwei Ebenen unterscheiden, die sich jedoch überschneiden und nicht immer klar unterschieden werden können:

  • Kognitive Ebene: Sich der Emotionen der anderen Person bewusst sein, sich in die Person gedanklich hineinversetzen können (kognitive Perspektivenübernahme).
  • Emotionale Ebene: Stellvertretende affektive Reaktion auf die Emotionen der anderen Person, das Mitleiden und der daraus entstehende Handlungsimpuls, zu helfen, das Leiden bzw. die Situation der anderen Person zu verändern.

Eine ganze Reihe von Wissenschaftler*innen hat sich bereits mit der sozialen Kompetenz auseinandergesezt und entsprechend unterschiedliche Beschreibungsansätze gibt es.

Rose-Krasnor (1997) z.B. unterscheidet drei Dimensionen sozialer Kompetenz:

  1. wissensbezogene Kompetenzen (kulturspezifische Informationen über grundsätzliche Regeln des zwischenmenschlichen Miteinanders),
  2. Fähigkeiten (grundlegende, nicht auf bestimmte Situationen beschränkte soziale Fähigkeiten) und
  3. Fertigkeiten (spezifische, von den allgemeinen Fähigkeiten abhängige, konkrete, situationsgebundene, erlernte Verhaltensweisen).

Kanning (2009) hat diverse, in der Psychologie vorkommenden Dimensionen sozialer Kompetenz zu drei Fähigkeitsbereichen zusammengefasst:

  1. Perzeptiv-kognitiver Bereich: Selbstaufmerksamkeit, Personenwahrnehmung, Perspektivenübernahme, Kontrollüberzeugung, Entscheidungsfreudigkeit, Wissen
  2. Motivational-emotionaler Bereich: emotionale Stabilität, Prosozialität, Wertepluralismus
  3. Behavioraler Bereich: Extraversion, Durchsetzungsfähigkeit, Handlungsflexibilität, Kommunikationsstil, Konfliktverhalten, Selbststeuerung.

Eisenberg und Harris (1984) beschreiben für die soziale Kompetenz mindestens fünf Aspekte:

  • Fähigkeit zur Perspektivenübernahme
  • Erkennen der Bedeutung von Freundschaften
  • Entwickeln positiver Problemlösestrategien innerhalb sozialer Interaktionen
  • Entwicklung moralischer Wertvorstellungen
  • Fertigkeiten zur Kommunikation

Caldarella und Merrell (1997) beschreiben nach einer Analyse verschiedener Studien, an welchen Fähigkeiten und Fertigkeiten sich soziale Kompetenz bei Kindern feststellen lässt. Sie kommen zu fünf Dimensionen sozialer Kompetenz:

  • Fertigkeiten zur Bildung positiver Beziehungen zu Gleichaltrigen (u.a. soziale Perspektivenübernahme, anderen helfen oder andere loben)
  • Selbstmanagementkompetenzen (wie Konflikte bewältigen oder die eigene Stimmung regulieren)
  • Akademische Kompetenzen (auf die Anweisungen des Lehrers hören; um Hilfe bitten)
  • Kooperative Kompetenzen (Anerkennung sozialer Regeln; angemessene Reaktionen auf Kritik zeigen)
  • Positive Selbstbehauptung und Durchsetzungsfähigkeiten (Gespräche oder Aktivitäten beginnen)

Prosoziales Verhalten

Prosoziales Verhalten umfasst Verhaltensweisen wie Anteilnahme, Teilen, Helfen und die Zusammenarbeit zu Gunsten der Gruppe. Es geht um Fertigkeiten, auf deren Basis anderen Menschen geholfen wird (prosoziales Verhalten). Ein Mangel an diesen Fertigkeiten führt beispielsweise dazu, dass andere geschädigt werden (dissoziales oder aggressives Verhalten). Die Fertigkeiten oder der Mangel entwickeln sich im Kontext sozialer Interaktionen. Dabei hat die Gruppe der Gleichaltrigen eine wichtige Funktion. Soziale Kompetenzen sind dabei eine Voraussetzung für prosoziales Verhalten.

Zusammenhang von sozialer und emotionaler Kompetenz

Emotionale und soziale Kompetenz stehen in enger und vielfältiger Beziehung zueinander. Bestimmte emotionale Fertigkeiten sind die Grundlage für sozial kompetentes Verhalten. Eine hohe emotionale Kompetenz geht mit einer höheren sozialen Kompetenz und mit weniger Problemen mit Gleichaltrigen einher. So haben beispielsweise Fünfjährige, die den mimischen Emotionsausdruck anderer besser erkennen und benennen können, ein ausgeprägteres, positives Sozialverhalten und häufiger soziale Kontakte mit Gleichaltrigen.

Emotionen formen die motivationale Basis für Empathie und prosoziales Verhalten ebenso wie für Wut, aus der schlimmstenfalls aggressives und gewalttätiges Verhalten resultiert. Emotionale Kompetenz verstärkt z.B. die soziale Perspektivenübernahme, d.h.: Ein Kind kann sich besser vorstellen, wie andere Kinder sich gerade fühlen. Diese Fertigkeiten helfen dabei, eigenes Verhalten besser auf das von anderen Kindern abzustimmen. Daher sind emotional kompetente Kinder in der Regel bei anderen Kindern beliebter und weniger aggressiv.

Kinder mit eher geringer emotionaler Kompetenz weisen hingingen eine geringe soziale Kompetenz und häufiger externalisierende Verhaltensstörungen auf. Bei Kindern mit sozialen und emotionalen Problemen wurden in Studien häufiger Schwächen im Bereich der emotionalen Kompetenz festgestellt.

Ängstliche Kinder haben eher ein eingeschränktes Repertoire mimischer Ausdrucksmöglichkeiten und sind bei der Interpretation von Emotionen anderer unsicherer.

Kinder mit aggressivem Verhalten fallen häufiger durch beeinträchtigte emotionale Kompetenzen auf.

Kinder, die Probleme mit der Emotionsregulation und dem konstruktiven Umgang mit ihren Gefühlen haben, werden häufiger von Gleichaltrigen abgelehnt und als weniger sozial kompetent angesehen.

Geringe Fertigkeiten bei der Wahrnehmung und Benennung von eigenen und fremden Emotionen gehen mit der Ablehnung durch andere Kinder einher. Versteht ein Kind die Emotion eines anderen nicht, kommt es schneller zu Missverständnissen und Konflikten. Angemessene Ärgerregulationsstrategien hingegen können sogar dem Auftreten von Verhaltensstörungen entgegenwirken.

Da emotionale und soziale Kompetenzen eng miteinander verknüpft sind, wird häufig von sozial-emotionalen Kompetenzen und in der Folge von sozial-emotionalen Fertigkeiten gesprochen.

Wissenschaftler*innen haben eine Reihe von sozial-emotionalen Schlüsselfertigkeiten zusammengestellt, deren Förderung durch Programme zum emotionalen und sozialen Lernen empfohlen wird:

Selbst- und Fremdwahrnehmung
Wahrnehmung eigener Emotionen

Eigene Emotionen richtig wahrnehmen und benennen

Regulation von Emotionen Eigene Emotionen verändern können (z.B. in der Intensität)
Positives Selbstbild Eigene Stärken und Schwächen erkennen und alltäglichen Herausforderungen mit Selbstvertrauen und Optimismus begegnen
Perspektivenübernahme Sichtweise anderer Personen wahrnehmen
Soziale Interaktion
Aktives Zuhören Sich anderen zuwenden und ihnen zeigen, dass sie verstanden werden
Kommunikation

Gespräche initiieren und aufrechterhalten und eigene Gedanken und Gefühle verbal und nonverbal ausdrücken

Kooperation

Sich mit anderen abwechseln und teilen

Verhandlungen

In einem Konflikt alle Sichtweisen berücksichtigen, um zu einer für alle Beteiligten zufriedenstellenden Lösung zu kommen

Verweigerung

Sich verweigern und nicht unter Druck setzen lassen

Suche nach Unterstützung Unterstützungsbedarf erkennen und erreichbare und angemessene Hilfen in Anspruch nehmen

Durch eine Förderung dieser sozial-emotionalen Schlüsselfertigkeiten kann das Risiko für emotionale Probleme (z.B. Angst, sozialer Rückzug) und für Verhaltensprobleme (z.B. aggressiv-dissoziales Verhalten) reduziert werden. Der erfolgreiche Aufbau sozial-emotionaler Kompetenzen ist Voraussetzung für eine gesunde psychische Entwicklung des Kindes. Auf diesen Kompetenzen aufbauend zeigen Kinder prosoziales Verhalten wie z.B. Hilfeleistung.

Kinder mit sozial-emotionalen Kompetenzen zeigen eine bessere Integration in die Gleichaltrigengruppe und passen sich neuen Herausforderungen besser an (z.B. in der Schule). Kinder mit einem hohen Ausmaß an sozial-emotionalen Kompetenzen fallen zudem seltener durch Verhaltensprobleme auf.

Umgekehrt stellen gering entwickelte sozial-emotionale Kompetenzen einen bedeutsamen Risikofaktor für vielfältige Probleme (z.B. aggressiv-dissoziales Verhalten) dar.

Grafik zum Zusammenhang soziale und emotionale Kompetenz
Einflussfaktoren auf die emotionale und soziale Kompetenzentwicklung von Kindern

Kindliches Temperament

Ein bereits früh wirksamer Einflussfaktor auf die kindliche soziale und emotionale Entwicklung ist das Temperament eines Kindes. Generell kann man unter Temperament die Art und Weise verstehen, wie Kinder reagieren oder agieren, oder anders ausgedrückt: Das Temperament beschreibt nicht, was ein Kind macht (Verhalten), sondern, wie es etwas macht.

Dabei geht es um Verhaltenstendenzen, die über bestimmte Zeiträume und unterschiedliche Situationen hinweg bei einem Kind relativ konstant bleiben, z.B. bezogen auf die körperliche Reaktionsbereitschaft oder die Emotionalität.

"Schwieriges" Temperament

Eine bestimmte Kombination von Temperamentsmerkmalen wird auch als "schwieriges" Temperament bezeichnet. Damit werden Kinder gekennzeichnet, die leicht irritabel sind, einen unregelmäßigen biologischen Rhythmus haben und häufig negative Emotionen zeigen. Besonders diese Temperamentskonstellation steht mit oppositionellem und aggressivem Verhalten im Kindesalter im Zusammenhang und langfristig mit aggressiv-dissozialem Verhalten im Jugendalter.

Ausdrücklich weisen wir darauf hin, dass es eigentlich kein "schwieriges" Temperament gibt, sondern dass mögliche Probleme und Risiken in der kindlichen Entwicklung dadurch entstehen, dass die Umwelt des Kindes nicht zu den beschriebenen Temperamentsmerkmalen passt, also Eltern beispielsweise andere Erwartungen an ihr Kind haben oder mit einem sehr lebhaften Kind nicht so gut umgehen können und sich überlastet fühlen. Aus dieser Situation heraus ergeben sich dann in den Interaktionen zwischen Kind und Eltern Probleme.

"Gehemmtes" Temperament

Kinder mit einem "gehemmten" Temperament fallen dadurch auf, dass sie sich an neue Situationen oder fremde Personen schlechter anpassen können. Diese Kinder ziehen sich eher zurück und empfinden mehr Angst. Kinder mit einer starken Verhaltenshemmung haben ein erhöhtes Risiko für Angststörungen.

Sprachentwicklung der Kinder

Die Sprachentwicklung von Kindern hängt eng zusammen mit sozialer Kompetenz bzw. Schwierigkeiten in sozialen Interaktionen, denn die Sprache hat eine fundamentale Funktion für den Aufbau und Erhalt zwischenmenschlicher Kontakte. Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen haben vermehrt emotionale oder Verhaltensprobleme. Dies wird dahingehend interpretiert, dass Kinder z.B. vermehrt mit aggressivem Verhalten reagieren, wenn sie ihre Bedürfnisse oder Wünsche nicht verständlich ausdrücken können, aber dennoch ihr Ziel (z.B. ein Spielzeug zu erhalten) erreichen wollen.

Eltern-Kind-Interaktion

Auch elterliche, besonders mütterliche Merkmale, beeinflussen die soziale und emotionale Entwicklung von Kindern. Ein wesentlicher Einflussfaktor ist die Qualität der frühen Eltern-Kind-Interaktionen. Der Begriff der Interaktion betont bereits, dass hier nicht einseitig Verhalten der Bezugsperson oder des Kindes betrachtet wird, sondern besonders der Prozess des sozialen Austausches im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht.

Familiäre Einflüsse und das Erziehungsverhalten der Eltern schlagen sich in der Mutter-Kind-Interaktion nieder. Zu den wichtigsten Einflussfaktoren auf die emotionale und damit auch auf die soziale Entwicklung zählen:

  • Emotionales Familienklima
    Wie drücken die Familienmitglieder Emotionen aus.
  • Emotionsausdruck der Eltern
    Die Eltern sind den Kindern hinsichtlich des Ausdrucks von positiven und negativen Emotionen ein Vorbild und regulieren so auch das emotionale Erleben ihrer Kinder mit, da diese sich in emotionalen Situationen an den Reaktionen ihrer Bezugspersonen orientieren.
  • Responsivität der Eltern
    Eltern, die sensibel auf kindliche Emotionen reagieren, d.h. Emotionen nicht unterdrücken, sondern auf positive und negative Emotionen der Kinder eingehen, unterstützen ein ebensolches Verhalten bei ihren Kindern im Umgang mit anderen.
  • Gespräche über Emotionen
    Gespräche der Eltern über Emotionen, deren Ursachen und Folgen sowie deren Verbindungen zum Verhalten und zu den einhergehenden Gedanken fördern die emotionale und soziale Entwicklung der Kinder. Kinder haben ein breiteres Emotionswissen und -verständnis und können Emotionen besser regulieren, wenn ihre Mütter mit ihnen über Emotionen sprechen.
  • Umgang mit negativen Emotionen
    Für die emotionale Entwicklung des Kindes ist besonders ein häufiger Ausdruck negativer Emotionen von den Eltern wie Wut oder Traurigkeit ungünstig. Kinder zeigen dann auch vermehrt negative Emotionen, auf die die Eltern mit strengem und abweisendem Verhalten reagieren. So können sich negative Emotionen bei Kind und Erwachsenen aufschaukeln und langfristig wird besonders der Ausdruck negativer Emotionen verstärkt. Eltern, die in der Interaktion mit ihrem Kind hingegen häufig positive Emotionen zeigen sowie eine von Zuneigung geprägte Haltung zum Kind, haben eher Kinder, die auf negative Emotionen anderer Kinder empathisch reagieren und weniger Verhaltensprobleme zeigen.
  • Koregulation von Emotionen

Erziehungsverhalten

Eine warme, von Zuneigung geprägte Erziehungshaltung in Kombinationen mit einem konsistenten und konsequenten elterlichen Verhalten unterstützt eine positive Entwicklung von Kindern. Harte Disziplinierungstechniken, körperliche Bestrafung, eine geringe elterliche Aufsicht und wenig vorhersehbares elterliches Verhalten stehen hingegen insbesondere im Zusammenhang mit trotzigem und aggressivem, aber auch mit ängstlich-zurückgezogenem Verhalten der Kinder. Letzteres tritt auch bei überprotektivem und überstimulierendem Erziehungsstil auf.

Die Mutter-Kind-Interaktion und das Erziehungsverhalten haben eine besondere Bedeutung für die emotionale und soziale Entwicklung des Kindes. Die Kompetenzen, die ein Kind zu Hause aufbaut, bestimmen die Fertigkeiten des Kindes, auch soziale Beziehungen mit Gleichaltrigen aufzubauen. Das Interaktionsmuster, das zu Hause gelernt wurde, wird zunächst auf die sozialen Interaktionen mit Erzieher*innen oder Gleichaltrigen übertragen – dann aber im Laufe der Zeit durch die Erfahrungen mit Erzieher*innen und Gleichaltrigen verändert.

Soziale Kompetenz und Kontakte zu Gleichaltrigen

Der Kontakt zu Gleichaltrigen spielt für die Entwicklung sozialer Kompetenz eine wichtige Rolle und beeinflusst langfristig die individuelle Entwicklung. Daher ist der Eintritt in die Kita für Kinder in unserer westlichen Gesellschaft besonders wichtig. Viele Kinder können in der Kita zum ersten Mal mit (mehreren) Gleichaltrigen und damit Gleichberechtigten spielen. Im Kontakt zu Gleichaltrigen setzen sich die Kinder daher verstärkt mit dem Thema Gerechtigkeit auseinander. Sie müssen lernen, Spielzeug zu teilen oder sich zu gedulden, bis sie an der Reihe sind. Besonders entscheidend für die Entwicklung sozialer Kompetenz ist das gemeinsame Spielen. Hier können Kinder lernen, eigene und fremde Bedürfnisse aufeinander abzustimmen. Das gemeinsame Spiel fördert die soziale Perspektivenübernahme, eine zentrale Voraussetzung für die Abstimmung eigener Handlungen auf die Bedürfnisse anderer.

In der Kita entstehen oft auch die ersten Freundschaften. Der Begriff "Freundschaft" wird in Abhängigkeit vom Entwicklungsstand unterschiedlich definiert. Freundschaften bei Drei- bis Vierjährigen ergeben sich überwiegend durch das gemeinsame Spiel. Es stehen noch nicht gemeinsame Einstellungen oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe im Vordergrund. Diese Formen von Freundschaft sind aber die Grundlage für spätere Freundschaftsbeziehungen. Der Aufbau stabiler Freundschaften und die Entwicklung sozialer Kompetenz beeinflussen sich gegenseitig: Die soziale Kompetenz eines Kindes hat einen bedeutsamen Einfluss auf die Fertigkeit eines Kindes, stabile Freundschaften aufzubauen. Umgekehrt üben und entwickeln Kinder soziale Kompetenzen im Rahmen von Freundschaften. Bei Kindern mit geringen sozialen Kompetenzen, die keine Freundschaften aufbauen können, besteht die Gefahr, dass sich ihr Entwicklungsdefizit im Laufe der Zeit vergrößert. Langfristig kann daraus resultieren, dass sie sich so weit wie möglich aus sozialen Situationen zurückziehen und/oder von anderen Kindern abgelehnt werden, weil sie sich unangemessen verhalten. Sie haben dadurch ein höheres Risiko für Fehlentwicklungen wie soziale Ängste oder aggressives Verhalten.

Mangelnde soziale Kompetenz und fehlende Freundschaften sind daher Risikobedingungen für die weitere Entwicklung von Kindern. Positive Beziehungen zu Gleichaltrigen sind eine Schutzbedingung für Kinder. Wissenschaftler*innen konnten zeigen, dass sich Fünfjährige aus ungünstigen familiären Verhältnissen positiv entwickeln, wenn sie von Gleichaltrigen akzeptiert werden und stabile Freundschaften zu anderen Kindern aufweisen. Kinder aus widrigen familiären Verhältnissen, die keine festen Freundschaften hatten bzw. von Gleichaltrigen abgelehnt wurden, fielen dagegen später in der Schule vermehrt durch aggressive und hyperaktive Verhaltensprobleme auf.

Literatur

Die Definition von sozialer Kompetenz beruht auf den Arbeiten von Rose-Krasnor (1997) und Rubin & Rose-Krasnor (1992), die fünf Aspekte sozialer Kompetenz basiert auf Eisenberg & Harris (1984):

  • Eisenberg, N. & Harris, J.D. (1984). Social competence: A developmental perspective. School Psychology Review, 13, 267–277.
  • Kanning, U.P. (2002). Soziale Kompetenz - Definition, Strukturen und Prozesse. Zeitschrift für Psychologie, 210 (4), 154–163.
  • Rose-Krasnor, L. (1997). The nature of social competence. New York: Guilford.
  • Rose-Krasnor, L. (1997). The nature of social competence: A theoretical review. Social Development, 6 (1), 111–136.
  • Rubin, K.H. & Rose-Krasnor, L. (1992). Interpersonal problem solving and social competence in children. In V. VanHasselt & M. Hersen (Eds.), Handbook of social development (pp. 283–323). New York: Plenum.
  • Zahn-Waxler, C., Radke-Yarrow, M., Wagner, E., & Chapman, M. (1992). Development of concern for others. Developmental Psychology, 28, 126–136.

Ein lesenswert-engagierter Artikel zum Themenfeld erschien am 22. Februar 2014 in der FAZ:

Lasst die Kinder in Ruhe! "Gestört", "hyperaktiv": Auffällige Schüler werden schnell in Therapie geschickt. Kinderarzt Michael Hauch wehrt sich gegen Lehrer und Eltern, ...
www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/ein-arzt-empoert-sich-lasst-die-kinder-in-ruhe-12815971.html

Neue Erkenntnisse zu den Basisemotionen im Newsletter Nr. 21 auf den Seiten 2–3
"Wie kann man den Umgang mit Gefühlen lernen?" im Newsletter Nr. 27 auf den Seiten 2–3.