Mit Kompetenz gewappnet

70 ErzieherInnen aus dem Raum Augsburg wurden am 14. November für Papilio zertifiziert

Augsburg. 70 ErzieherInnen aus dem Raum Augsburg wurden am Montag, 14. November, für Papilio zertifiziert, das heißt: Sie haben in Fortbildungen und in der Praxis das Rüstzeug erworben, Papilio im Kindergarten einzuführen und dauerhaft durchzuführen. Papilio ist ein zukunftsweisendes Präventionsprogramm gegen die Entwicklung von Sucht und Gewalt, das bereits im Kindergarten ansetzt und dort die kindliche Entwicklung gezielt fördert.

Papilio ist ein Projekt des beta Instituts Augsburg. Mit der Zertifizierung dieser großen Anzahl von Erzieherinnen nimmt die Region Augsburg (Stadt und Landkreis Augsburg sowie Landkreis Aichach-Friedberg) eine führende Rolle in Deutschland ein, was die Sucht- und Gewaltprävention schon im Kindergarten betrifft. Papilio wurde federführend in der Region entwickelt, praktisch erprobt und wissenschaftlich untersucht. Die positiven Ergebnisse haben in Fachkreisen bereits großes Interesse und viele Nachfragen ausgelöst: Papilio wird sich in ganz Deutschland ausbreiten.

„Stolz und hoch motiviert“, so beschreibt Papilio-Projektleiterin Heidrun Mayer die Stimmung der Erzieherinnen nach der Zertifizierung. Papilio bildet die Erzieherinnen fort und macht sie zum Kompetenzzentrum vorbeugenden Handelns gegen Sucht und Gewalt. Papilio-Erzieherinnen sind nicht nur in der Lage, alle ihre Kinder so zu fördern, dass sie später stabiler gegen Sucht und Gewalt sind. Sie beziehen auch die Eltern mit ein und geben in Einzelgesprächen und Elternabenden pädagogische und entwicklungspsychologische Tipps und Informationen. Damit steigern Papilio-Erzieherinnen die Qualität erzieherischen Handelns insgesamt.

Zusätzliche Aktualität gewinnt das Thema Gewaltprävention angesichts der Ausschreitungen in Frankreich. Papilio gibt Antworten auf die Frage: Wie kann eine solche Entwicklung in Deutschland verhindert werden?

Hintergrund zu Papilio

Papilio – Das Programm im Überblick

Papilio ist ein Programm zur Vorbeugung gegen die Entwicklung von Sucht- und Gewaltverhalten und wurde speziell für Kindergärten entwickelt. Es setzt auf drei Ebenen an: ErzieherIn – Kind – Eltern.

ErzieherIn als Multiplikatorin

Papilio arbeitet nicht mit externen Spezialisten, sondern bildet die ErzieherInnen als zentrale Vermittlungspersonen fort, die Papilio im Kindergarten ein- und durchführen. Die ErzieherInnen erwerben im Papilio-Seminar Wissen über die Entwicklung von Sucht und Gewalt, sie lernen, ihr entwicklungsförderndes Erziehungsverhalten zu reflektieren, bei Bedarf einer Korrektur zu unterwerfen und im Austausch mit KollegInnen weiterzuentwickeln.

Drei kindorientierte Maßnahmen

Die ErzieherInnen führen im Kindergarten drei Papilio-Maßnahmen für Kinder ein:

  • Paula und die Kistenkobolde
    Mit einer Geschichte lernen die Kinder die grundlegenden Gefühle Trauer, Zorn, Angst und Freude kennen – personifiziert in Heulibold, Zornibold, Bibberbold und Freudibold. Sie lernen, über ihre eigenen Gefühle zu sprechen und auf andere Kinder einzugehen. Die Geschichte wurde auch von der Augsburger Puppenkiste inszeniert und steht als Hörspiel sowie bald auch als DVD zur Verfügung.
  • Spielzeug-macht-Ferien-Tag
    Die Kinder lernen, sich mit sich selbst und den anderen Kindern zu beschäftigen sowie ohne vorgegebene Mittel kreativ zu spielen.
  • Meins-deinsdeins-unser-Spiel
    Kinder lernen in der Gruppe spielerisch den Umgang mit sozialen Regeln. Im Vordergrund steht dabei die gegenseitige Unterstützung beim Einhalten der mit den Kindern gemeinsam vereinbarten Regeln. Die erfolgreichste Gruppe darf sich am Ende etwas wünschen, was aber allen Kindern zugute kommt.

Eltern einbeziehen

Den Eltern werden die Inhalte und Ziele der Papilio-Maßnahmen vermittelt, damit sie auf Rückmeldungen der Kinder eingehen können. Papilio bietet zudem die Möglichkeit, dass sich Eltern im entwicklungsfördernden Erziehungsverhalten weiterbilden oder die Geschichte „Paula und die Kistenkobolde“ zuhause hören, vorlesen und pädagogisch nutzen.

Im Alltag integriert

Papilio ist nicht zeitlich befristet, sondern die Maßnahmen werden nach und nach eingeführt und sind dann alltäglicher Bestandteil der Kindergartenarbeit. Dass das funktioniert, hat ein Modellprojekt mit Begleitstudie im Raum Augsburg bewiesen.

Warum Papilio wirkt: Entwicklungsorientierte Präventionstheorie

Verschiedene Studien haben mittlerweile herausgefunden, dass Verhaltensstörungen bei Kindern der Hauptrisikofaktor für späteres Sucht- oder Gewaltverhalten sind. Die Risikofaktoren für Sucht sind zudem die gleichen, die auch zu Gewalt (und anderen Problemverhaltensweisen) führen.

Wenn zur Verhaltensstörung weitere Risikofaktoren dazukommen, dann steigt das Risiko, dass es zu Sucht- und Gewaltverhalten kommt.
Weitere Risikofaktoren sind: mangelnde Bindung an Lehrer/Schule, Schulversagen, Kontakte zu Gleichaltrigen mit Defiziten im sozialen Verhalten, Zurückweisung in der Gleichaltrigengruppe, ineffektive Erziehung, mangelnde Beaufsichtigung, negative Bindungsqualität.

Verhaltensstörungen verfestigen sich im Alter von etwa acht Jahren, vorher spricht man von Verhaltensauffälligkeiten, die Entwicklung des Kindes ist noch im Fluss, sprich: Vorher besteht die beste Chance, positiv Einfluss zu nehmen. Das geht auf drei Wegen:

  • Risikofaktoren mindern
    Risikobedingungen für die Entwicklung von Verhaltensstörungen sind:
    • Erziehungsfaktoren (z.B. ineffektive Erziehungspraktiken)
    • Kindfaktoren (z.B. schwieriges Temperament)
    • Kontextfaktoren (z.B. ungünstiger psychosozialer Status)
    • Kindergarten- bzw. Gleichaltrigenfaktoren (z.B. Ablehnung durch Gleichaltrige)
  • Schutzfaktoren und Resilienzfaktoren fördern
    Schutzfaktoren sind Freundschaften, positive Gleichaltrigenbeziehungen und positive Kindergartenerfahrungen.
    Resilienz ist die Fähigkeit eines Kindes, auch belastende Lebensumstände zu bewältigen, z.B. durch positives Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeitsüberzeugung, Sozialverhalten.
  • Altersgemäße Entwicklung fördern
    Dazu zählen beispielsweise Erkennen von Basisemotionen bei sich und anderen, Regulation von Emotion und Verhalten, soziale Regeln lernen, …

Papilio wurde aufgrund dieser Erkenntnisse entwickelt und wirkt als erstes und bisher einziges Programm auf die komplexe Vielzahl von Entwicklungsfaktoren:
Papilio reduziert die Risikofaktoren und fördert die Entwicklung aller bekannten Schutzfaktoren sowie die altersgemäße Entwicklung.

Die wichtigsten Ergebnisse der Papilio-Studie

Papilio-Kinder sind weniger verhaltensauffällig und haben mehr soziale Kompetenz.
Um die Wirksamkeit und Machbarkeit der Papilio-Maßnahmen zu überprüfen, wurde in der Region Augsburg von 2003 bis 2005 ein wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt mit 700 Kindern, deren Eltern und über 100 ErzieherInnen durchgeführt, eine der größten Kindergartenstudien in Deutschland. Verglichen wurden eine Interventionsgruppe (IG), bei der Papilio eingeführt wurde, mit einer Kontrollgruppe (KG), bei der Papilio erst nach Abschluss der Studienerhebungen eingeführt wurde. Vor Papilio zeigten sich keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Kindern der IG und der KG.

  • Das prosoziale Verhalten der Kinder (z.B. gegenüber anderen Kindern, Eltern, Erzieherinnen) verstärkte sich bei allen Kindern signifikant, bei den Kindern der IG jedoch deutlicher – ein Beleg für die positive Wirkung der Papilio-Maßnahmen.
  • Im Bereich sozial-emotionale Kompetenzen erzielten die Papilio-Kinder ebenso höhere Werte als die Kinder aus der KG.
  • Der Gesamtproblemwert hinsichtlich der Verhaltensauffälligkeiten der Kinder verringerte sich bei allen Kindern, bei den Kindern der IG jedoch deutlich stärker als bei den Kindern aus der KG. Dies ist ein eindeutiger Hinweis auf die positive Wirkung der Papilio-Maßnahmen.
  • Bei der Analyse der einzelnen Verhaltensstörungen ergaben sich verschiedene Ergebnisse. Insbesondere bei Hyperaktivitäts- und Aufmerksamkeitsproblemen wiesen die Papilio-Kinder weniger Probleme auf als die Kinder der KG.
  • Die Erzieherinnen gewinnen durch Papilio mehrfach: Sie sind zufriedener mit ihrer Arbeit, sie sind mehr überzeugt von der Wirksamkeit ihres erzieherischen Handelns und können insbesondere auf Problemkinder besser einwirken.

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